Die Angst vor einem Fieberkrampf
Fieberkrampf bei Kindern, Worte, die sich bereits während der Schwangerschaft meines ersten Sohnes fest in meinem Kopf eingebrannt hatten. Nicht, weil ich es aus dem Familien- oder Freundeskreis kannte oder ich selbst als Kind einen hatte. Im Gegenteil, bis zur Schwangerschaft hatte ich davon noch nie etwas gehört und kam auch nicht damit in Berührung.
Wie die meisten Schwangeren informierte auch ich mich ausgiebig über alle möglichen Themen rund ums Kind. Unter anderem stolperte ich auch über das Thema Fieberkrampf bei Kindern.
Ich weiß heute nicht mehr, was ich da genau gelesen hatte. Mich ließ dieses Thema auf jeden Fall nicht mehr los und mit dem Tag der Geburt meines ersten Sohnes war sie einfach da, die Angst vor einem Fieberkrampf.
Bei Infekten mit Fieber war ich immer in großer Sorge. Sprach ich Kinderärzte auf die Krampfthematik an, sagten sie meist, dass es eher selten vorkommt und wenn, dann sieht alles schlimmer aus als es in Wahrheit ist. Ich soll mich da nicht verrückt machen.
Wie sich herausstellte, machte ich mir tatsächlich völlig unbegründet Gedanken. Unser Sohn hatte zwar immer recht hohes Fieber, aber mit der Zeit lernten wir damit entspannt umzugehen.
Die permanente Angst vor Fieberkrämpfen verschwindet langsam
Als unser zweiter Sohn gut sechseinhalb Jahre später zur Welt kam, mussten wir rückblickend über uns als damals frisch gebackene Eltern lachen. Wie albern wir doch waren, beim ersten Kind:
- Wir wuschen uns ständig die Hände, bis sie ganz rau und rissig waren – Hauptsache keimfrei
- Wir jagten jedem Schnuller hinterher, der zu Boden ging und kochten ihn dann erstmal
gründlich ab - Wir bekamen Schweißausbrüche, sobald sich Personen mit Husten oder laufender Nase
unserem Sohnemann näherten - noch schlimmer, wenn diese Personen ihn auch noch anfassen wollten
- und dann diese Angst vor einem Fieberkrampf
Wir waren inzwischen als Eltern doch sehr viel erfahrener und konnten im Nachhinein selber nicht glauben, wie affig wir uns manchmal hatten.
Auch im Hinblick auf Erkrankungen und insbesondere im puncto Fieber, waren wir sehr viel gelassener, als beim ersten Kind. Wir hatten ja über die Jahre gelernt, dass Fieber nix Schlimmes ist und konnten es auch aushalten, nicht sofort zum Fiebersenker zu greifen, sobald die Temperatur über 38 Grad ging. Es war für uns überhaupt kein Angst-Thema mehr.
Da ich es bei meinem großen Sohn verpasst hatte, holte ich nach der Geburt des Kleinen noch einen Erste-Hilfe-Kurs-am-Kind nach. Es war mir einfach wichtig, dass man bei einen Notfall, ganz egal welcher Art, zumindest ansatzweise weiß, wie man helfen kann. Nicht nur bei meinen Kindern, sondern generell.
Ich weiß noch ganz genau, dass am Ende ganz kurz das Thema Fieberkrampf kam und ich ad hoc zusammenzuckte. Ich hatte damit ja abgeschlossen, warum müssen die das denn jetzt ansprechen? Es war noch immer ein unangenehmes Thema für mich, ich weiß nicht warum. Mich beruhigte es dann sehr, als die Kursleiterin sagte, dass sie auf dieses Thema gar nicht näher eingehen will, weil es doch mit sehr viel Angst behaftet ist und viele Eltern davor große Panik haben, es aber wirklich nur sehr selten vorkommt. Ich nickte nur und dachte: Zum Glück gehörst Du nicht mehr zu den Angsthasen, also entspann dich mal.
Die Dame meinte auch, dass der Anblick nicht schön, das Ereignis an sich für die Eltern eine Grenzerfahrung ist, aber das ein Fieberkrampf im Grunde nichts ist, wovor man Angst haben müsste. Deshalb ersparte sie sich auch Tipps zu geben. Sollte dieser doch recht seltene Fall mal eintreffen, dann reicht es an dieser Stelle zu wissen, dass nichts passieren kann und man als Elternteil bitte einfach ruhig bleiben soll.
Für mich war das der Moment, wo ich ein für alle Mal beschlossen hatte, dass ich mir darüber wirklich keine Gedanken mehr machen musste. So selten kommt es vor, warum sollte es dann ausgerechnet uns treffen?
Damals konnte ich nicht ahnen, wie hilfreich es wahrscheinlich gewesen wäre, hätte ich zumindest mal davon gehört, wie sich so ein Fieberkrampf am Kind zeigt. Wie man einen Fieberkrampf erkennt und was man als Elternteil tun kann, um bei einem Krampf Ruhe zu bewahren und nicht in Panik zu geraten.
Der erste Fieberkrampf kam aus dem Nichts
Es war Dezember, das dritte Advents-Wochenende 2015 und wir waren bei Freunden zum Kaffee eingeladen. Der Kleine, gerade 20 Monate alt, war nach seinem Mittagschlaf etwas quengelig, was nach dem Schlafen ungewöhnlich für ihn war. Wie immer, prüften wir kurz, ob Fieber im Spiel war. Er hatte zwar minimal erhöhte Temperatur, aber das schoben wir auf die Bettwärme. Ansonsten war er fidel, bis auf das etwas Knautschige, was aber schnell vergessen war.
Die Kids spielten vergnügt und auch Noah war sehr gut drauf. Er hatte zum Kaffee fleißig Kuchen gegessen und wollte dann schnell wieder zum Spielen. Alles war wie immer. Wir Erwachsenen plauderten noch gemütlich am Kaffeetisch als Noah zu meinem Mann kam und auf den Arm wollte. Mein Mann fühlte nochmals seine Stirn, denn er sah etwas blass aus, aber es schien soweit alles in Ordnung. Noah wollte scheinbar einfach nur ein bisschen bei Papa sein – da er ein absolutes „Papa-Kind“ ist, war auch das nicht weiter verwunderlich.
Auf einmal fing mein Mann an, Noahs Namen zu rufen. Er gab ihm leichte Klapse ins Gesicht, rüttelte ihn leicht und begann zwischenzeitlich noch lauter seinen Namen zu rufen. Ich dachte noch, warum er denn so einen Herrmann machen muss, der Kleine träumt einfach nur ein bisschen vor sich hin. Doch plötzlich wurde er sehr hektisch und ich hörte ihn dann nur noch sagen: „Verdammt, der atmet nicht mehr!“
In diesem Moment blieb für mich die Zeit stehen und alles spielte sich nur noch unter einem grauen Dunst-Schleier ab.
Ich saß in Schockstarre am Tisch und war unfähig irgendetwas zu tun. Es können nur Sekunden gewesen sein, gefühlt war es eine Ewigkeit. Alles lief in Zeitlupe vor mir ab. Ich sah, wie mein Mann den Kleinen auf dem Arm hielt, die Ärmchen hingen leblos an ihm herunter. Er legte ihn auf den Boden ab und versuchte, ihn wieder ins Bewusstsein zu holen.
Als ich in der Lage war mich vom Tisch zu erheben, sah ich mein Kind mit verdrehten Augen am Boden liegen. Mein Mann fing an, ihn leicht zu beatmen. Die Lippen färbten sich blau, die Hautfarbe war aschfahl. Dann fing er an zu krampfen. Das ganze Kind zog sich rhythmisch zusammen. Er hatte eigenartigen Schaum vor dem Mund.
Definitiv der schlimmste Anblick meines Lebens. Diese Bilder bekomme ich bis heute nicht aus meinem Kopf.
Ich stand daneben, bewegte mich mechanisch um mein Kind und mir schossen in Millisekunden schreckliche Gedanken durch den Kopf:
Bitte, lass es einen Alptraum sein. Ich wache doch gleich wieder auf, das kann nicht real sein. Das geht einfach nicht. Es kann doch nicht sein, dass jetzt mein Kind stirbt. Warum passiert uns das? Wir waren so glücklich! Wie soll ich das schaffen, eine Beerdigung zu organisieren? Er ist doch noch gar nicht lange auf der Welt! Sollte er das hier überleben, dann behält er mit Sicherheit schwerste Schäden zurück. Aber egal, besser als sterben. Ich gebe mein Job auf und kümmere mich um ihn. Ich will nicht, dass er stirbt. Bitte, wer immer einen Einfluss darauf hat, erspare mir die Erfahrung, mein Kind zu verlieren.
Die Nerven liegen blank
In der Zwischenzeit hatte unsere Freundin den Notruf gewählt und hing wohl in einer Warteschleife. Zur gleichen Zeit war mein Mann beim Kleinen und versuchte alles, dieses Kind wieder in einen normalen Zustand zu bringen. Mit kalten Waschlappen, lautem Rufen, Kleidung aufmachen, etc.
Als ich merkte, dass die Freundin am Telefon leicht nervös wurde und irgendwas sagte von: „Das kann doch nicht sein, ich erreiche niemanden!“ - sind mir die Nerven durchgegangen. Ich bin nur noch aus dem Haus gerannt und habe voller Panik um Hilfe geschrien. Ich war nicht mehr ich selbst und konnte nicht mehr steuern, was ich machte. Ich war völlig kopflos.
Meine Freundin holte mich wieder rein und sagte: Bitte beruhige dich wieder, ich weiß es nicht genau, aber ich glaube es ist ein Fieberkrampf. Ich kenne das von meiner Nichte. Wenn es das ist, dann stirbt er nicht, glaube mir! Das sieht wirklich schlimm aus, aber wenn es ein Krampf ist, dann ist es bald vorbei.“
Sie hatte parallel weiter versucht, den Notruf abzusetzen und hatte dann auch endlich jemanden in der Leitung. Sie reichte mir das Telefon und sagte: „Du musst mit ihnen sprechen, sie wollen wissen was genau los ist. Das musst du jetzt machen“.
Der Mann am anderen Ende wollte, dass ich ihm die derzeitige Situation beschreibe.
Ich sagte ihm: „Das kann ich nicht, ich kann nicht in den Raum gehen, ich kann das nicht mitansehen.“
Er: „Gehen Sie bitte zu ihrem Kind und sagen sie mir, was genau los ist!“
Ich sagte ihm nur: „Bitte schicken Sie schnell einen Krankenwagen, ich glaube mein Kind stirbt gerade!“
Mit jeder Frage wurde ich hysterischer und merkte gar nicht, dass ich keine große Hilfe war – im Gegenteil. Bis der Mann am anderen Ende mich anschrie und mir sagte, ich solle mich jetzt bitte zusammenreißen!
Er: „Die Dame zuvor erzählte etwas von Fieberkrampf Symptomen und daran stirbt ihr Kind nicht! Kommen Sie bitte zu sich, beantworten sie meine Fragen, der Rettungswagen ist unterwegs!“
Ich weiß nicht mehr, wer das Telefonat dann übernommen hat, ich glaube mein Mann.
Erst dann bemerkte ich die anderen drei Kids, die das ganze Drama hautnah mitbekommen hatten. Mein großer Sohn stand wie angewurzelt da und fragte mich, ob Noah jetzt stirbt. Ich sagte zu ihm: „Ich weiß es nicht, ich glaube nicht. Der Mann am Telefon hat gesagt, er stirbt nicht.“
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich endlich die Sirene des Krankenwagens. Ich weiß nicht mehr wie viele Menschen es waren, es stand auf einmal ein ganzer Pulk an Personen um meinen kleinen Sohn.
Ich konnte mir das Ganze nicht mit ansehen, verließ den Raum und betete nur, dass sie mir bitte keine schlechten Nachrichten überbrachten.
Irgendwann kam eine der Personen zu mir und erklärte, dass es sich tatsächlich um einen Fieberkrampf handelte, der Kleine soweit stabil war und auf jeden Fall mit ins Krankenhaus müsste. Ich hörte etwas von „komplizierter Fieberkrampf“, „weitere Untersuchungen“, „schläft jetzt“, „ihr Mann kommt mit“ „Alles Gute, auf Wiedersehen.“
Ich sah wie sie diese riesige Trage an mir vorbei schleppten, darauf das kleine Bündel von Sohnemann mit allerlei Schläuchen drum herum. Dennoch wurde ich langsam ruhiger.
Ich wusste, er ist jetzt in guten Händen.
Ich stand da und dachte nur: So schnell kann sich dein Leben also um 360 Grad drehen. Von einer Sekunde auf die andere. Nichts ist mehr wie es war. Was vor einer Stunde noch wichtig war, ist jetzt gerade die Nichtigkeit schlechthin. Alles was jetzt zählt, ist das mein Kind wieder gesund wird. Ich habe keine weiteren Wünsche, ich will einfach nur mein gesundes Kind zurück.
Später brachte mich unser Freund ins Krankenhaus. Im Untersuchungszimmer saß mein Mann sichtlich erschöpft neben unserem Sohn und hielt seine kleine Hand. Er schlief tief und fest, zuckte aber noch immer leicht im Schlaf. Der Arzt erklärte uns, dass er über 15 Minuten den Krampf hatte, man dann von einem komplizierten Krampf sprach und sie weitere Untersuchungen machen müssten, um schlimmere Erkrankungen wie Meningokokken, irgendeinen Herpesvirus und weitere Krankheiten auszuschließen. Es war also noch nicht wirklich ausgestanden.
Der Kleine musste eine Reihe von Untersuchungen über sich ergehen lassen. Wie lange das alles dauerte, weiß ich nicht mehr. Ich musste zwischenzeitlich zurück zu unserem großen Sohn. Mein Mann blieb bei dem Kleinen und hielt mich permanent auf dem Laufenden.
Ich hatte gehofft das Krankenhaus mit dem Gefühl verlassen zu können, das alles wieder wird wie vorher. Mir gingen viele Fragen durch den Kopf:
- Was ist, wenn er doch Schäden behalten hatte, nach so einem langen Krampf?
- Wie gehen wir damit um?
- Was, wenn sich die Befürchtungen der Ärzte bestätigten und er Meningokokken
oder eine dieser anderen üblen Krankheiten hatte, die allesamt nichts Gutes verhießen? - Wird er je wieder der Gleiche sein?
- Wie geht unser Leben weiter?
Und das alles so kurz vor Weihnachten. Klar, Weihnachten hin, Weihnachten her – so etwas ist zu keinem Zeitpunkt toll, aber irgendwie fiel es in dieser Zeit doch noch etwas mehr ins Gewicht.
Wir hatten letztendlich das große Glück (und ich bin noch heute dankbar dafür), dass sich keine der Befürchtungen bewahrheiteten. Alle schwerwiegenden Krankheiten konnten ausgeschlossen werden. Die Fieberkrampf Ursache konnte jedoch nicht festgestellt werden. Es war auch nicht so, dass er am Tag des Krampfes extrem hohes Fieber hatte. Es lag um die 38 Grad und man sagte uns, dass es nicht zwingend hohes Fieber sein muss, dass es zu so einem Krampf kommt. Es ist wohl eher das Problem, dass die Körpertemperatur zu schnell steigt.
Dass die wahre Ursache nicht gefunden werden konnte, beunruhigte mich etwas, war aber nicht zu ändern. Dennoch war ich froh, dass unser Sonnenschein keinerlei Beeinträchtigungen zurück behielt und er wieder ganz der Alte war.
Wir konnten am 23.12. das Krankenhaus verlassen …
….und zusammen Weihnachten feiern.
Zuvor bekamen wir ein Notfallmedikament und ein Merkblatt mit, wie man sich im Fall eines weiteren Krampfes richtig verhält. Ich wollte eigentlich nichts davon hören und das alles ganz schnell vergessen.
Weitere Krämpfe? Was reden die denn da?
Ich wollte das Thema gerne einfach nur abschließen. Wir wurden ausführlich beraten und man nahm sich sehr viel Zeit, um all unsere Fragen zu beantworten. Wir bekamen auch den Hinweis mit auf den Weg, dass wir einen Krampf nicht verhindern können. Auch mit fiebersenkenden Mitteln nicht.
Das Merkblatt zum Thema Fieberkrämpfe studierte ich und stellte fest, was wir alles „falsch“ gemacht hatten. Da stand: „Unterlassen Sie Versuche, […] das Kind zu schütteln, es mit kaltem Wasser zu übergießen oder Dinge wie Mund-zu-Mund-Beatmung.“
Auf der anderen Seite frage ich mich, wer fängt nicht instinktiv an sein Kind zu beatmen, wenn es scheinbar nicht mehr atmet, langsam blau wird und man denkt, es ist kurz vorm sterben?
In diesem Merkblatt stand auch: „[…] haben 2/3 aller Kinder nur diesen einen und keinen weiteren [Fieberkrampf] mehr […]“.
(verfasst von den Ärzten der Kinderneurologie am Olgahospital, Stand März 2007)
Diese Zahl beruhigte mich ungemein, doch irgendwie hatte ich das ungute Gefühl, dass wir zum anderen Drittel gehörten. :-(
Mein Gefühl täuschte mich nicht, nur sechs Wochen später war es soweit…
Im nächsten Blogartikel (ist in Arbeit) erzähle ich dir von unserer zweiten Begegnung mit einem Fieberkrampf. Nach so kurzer Zeit hatten wir nicht damit gerechnet. Dennoch war ich durch die erste Erfahrung vorbereitet, blieb ruhig und besonnen, trotz dass ich allein daheim war….
Bis dahin…
H e i k e A d e l s b a c h
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